©

Die Fähigkeit des Geschriebenen, einzigartige Portraits von gesamten Jahrhunderten zu bieten

Iulia Dondorici hat Herzzeit – Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan übersetzt, erschienen in rumänischer Sprache im Art Verlag (2010). 100 Jahren nach Paul Celans Geburt erfahren wir, in dem, was folgt, mehr über eine der verzwicktesten Liebesgeschichten der deutschen Geschichte der Nachkriegszeit und die Übersetzung dieses Bandes:

Du hast namhafte Autor:innen aus dem deutschen und französischen Raum übersetzt; einer der Bände, die du übersetzt hast, ist Herzzeit – Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan (ins Rumänische Timp al inimii. Corespondenţă, Art Verlag). Ihre Beziehung ist wahrscheinlich eine der meist verzwickten Liebesbeziehungen der deutschen Geschichte der Nachkriegszeit. Was hat dir die Übersetzung dieses Bandes bedeutet?

Herzzeit – Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan ist tatsächlich ein sehr wichtiges Buch für mich, weil es meine erste literarische Übersetzung war. Man könnte sagen, meine Karriere als Literaturübersetzerin hat mit diesem Schriftsteller und dieser Schriftstellerin, in ihrer Intimität, angefangen. Es ist ein eher unübliches Debüt in der Literaturübersetzung. Normalerweise wird empfohlen, in eine solche „Lehre“ mit sozusagen „leichteren“ Büchern, die eine zugängliche Sprache aufweisen, zu starten und sich peu à peu den „schwierigeren“ Schriftsteller:innen, zu denen man zweifellos sowohl Celan als auch Bachmann zählen kann, zu nähern. Die mangelnde Erfahrung habe ich damals aufgefangen, indem ich an jedes Wort, jede Redewendung mit einer fast obsessiven Vorsicht herangegangen bin. Zusätzlich war ich, so viel wie möglich, offen für Sprachexperimente, habe die Übersetzung erneut aufgenommen und über eine längere Zeit hinweg mehrere Male überarbeitet – ich meine, es war insgesamt ein Jahr.

Faszinierend ist, dass die Briefe der beiden eine komplexe Mischung von einfacher, alltäglicher Sprache mit reiner, konzentrierter Poesie, philosophischen und kritischen Stellungsnahmen ist, was den Zugang zu einem Raum der oft schmerzhaften, verletzten Vertrautheit abwechselnd eröffnet und wieder schließt. Diese wollte ich an erster Stelle ins Rumänische übertragen. Denn du hast Recht, ihre Beziehung war sehr verzwickt und hat die Traumata und Dramen der europäischen Literatur der Nachkriegszeit bis hin in die tiefsten erotische Erfahrung offenbart. Davon abgesehen deckt der Briefwechsel Bachmann-Celan eine sehr breite Zeitspanne aus ihrem Leben ab und lässt sich nicht auf ihre Liebesgeschichte „reduzieren“, obwohl diese tatsächlich vorhanden und der Motor ihrer Beziehung war. Diese beginnt in dem Moment, in dem sich Bachmann und Celan im Mai 1948 in Wien treffen, wohin er als ein Jude aus Bukowina gekommen war, nachdem er seine Familie in den dortigen Arbeitslagern verloren hatte. Nach einem kurzen, aber produktiven Aufenthalt in Bukarest, zieht er nach Paris und macht einen kurzen Halt in Wien, wo er viele Kontakte in der österreichischen Literaturszene knüpft. So lernt er Ingeborg Bachmann kennen, die aus einer österreichischen kleinbürgerlichen Familie stammte und aus Klagenfurt kam, deren Vater dem Nationalsozialismus beigetreten war, die mit einer Dissertation über Heidegger in der Philosophie promovierte und zeitgleich versuchte, sich als Dichterin durchzusetzen. Sie beide hatten mit praktischen Schwierigkeiten des Lebens zu kämpfen, mit der Unsicherheit des Schriftsteller:innendaseins, mit Rassismus und/oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die Literatur ermöglichte ihr Zusammenkommen und trotzdem schien eine Liebes– oder Freundschaftsbeziehung unter diesen Umständen unmöglich.

Die erhaltenen Briefe aus der Zeit als Celan nach Paris abreiste sind ein Beweis für das Scheitern dieser ersten Phase ihrer Beziehung, in der die junge Ingeborg eher das Bedürfnis hatte, sich mitzuteilen, sich zu erklären, während sie versuchte, den schweren und unberechenbaren Weg zu gehen, der sie ihm hätte näher bringen können. Der Faden ihrer Freundschaft, der sehr fein und ganz oft kurz davor war, zu zerreißen, wird 1957 wieder aufgenommen. In diesem Jahr treffen sich die beiden und erleben für eine kurze Zeit eine Beziehung der leidenschaftlichen, absoluten Liebe, mit Augenblicken der Annäherung und Glücksmomenten, die sie ein Jahrzehnt zuvor verpasst hatten. Diese Liebe wird stark von dem Schmerz der periodischen Trennungen geprägt, sowie auch von den Schuldgefühlen beider, zumal Celan in der Zwischenzeit in Paris Gisèle de Lestrange geheiratet hatte, die selbst eine lebhafte Künstlerin war, und mit ihr ein Kind gezeugt hatte.

Am Ende dieser Phase ähnelt die Beziehung zwischen Bachmann und Celan immer mehr der einer von Krisen gezeichneten Freundschaft. Der Briefwechsel endet kurz vor dem tragischen Ende der beiden – Celan wird sich 1970 als psychisch Kranker in Paris umbringen, nach zwei fast gelungenen Versuchen, seine Frau zu ermorden; drei Jahre später stirbt Bachmann bei einem Brand, in der Wohnung, in der sie lebte, ohne dass man weiß, ob es ein Unfall oder Selbstmord war.

Zum anderen entdeckte ich mein Interesse für intime Prosa – der Briefwechsel und das Tagebuch – und ich habe zumindest noch zwei solcher Bände „in der Schublade“, von denen ich träume, sie eines Tages zu übersetzen: der Briefwechsel zwischen zwei deutschen Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit, Sarah Kirsch und Christa Wolf (Sarah Kirsch/Christa Wolf : Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt, Suhrkamp 2019), und von Christa Wolf ein, trotz seiner atypischen Form, faszinierendes Tagebuch, Ein Tag im Jahr (Luchterhand, 2003). Was diese Bücher gemeinsam haben, beziehungsweise, warum man sie dem Bachmann-Celan-Briefwechsel gegenüberstellen kann, ist nicht nur die Relevanz der Schriftsteller:innen, der entscheidende Charakter eines kulturellen Raumes, wie du erwähntest, sondern die Fähigkeit des Geschriebenen, einzigartige Porträts von gesamten Jahrhunderten zu bieten, solche, die von unterschiedlicher, jedoch faszinierender Subjektivität und Intimität gefiltert werden.


Iulia Dondorici hat einen Doktortitel in Philologie und arbeitet als Übersetzerin. Sie promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Dissertation über Poetiken des Körpers in der Prosa der rumänischen Moderne. Sie veröffentlichte die Studie Den Körper schreiben – Poetiken des Körpers in der Prosa der rumänischen Moderne (Frank & Timme, 2017) und koordinierte den Sammelband Rumänien heute (Passagen, Viena, 2011). Übersetzungen: Louis Althusser: Introducere în filozofie pentru nefilozofi (Tact, 2016), Christa Wolf: Casandra (Univers, 2014), Christa Wolf: Orașul îngerilor sau The Overcoat of Dr. Freud (Univers, 2013), Ingeborg Bachmann – Paul Celan: Timp al inimii. Corespondență (ART, 2010). Zurzeit ist sie als Wissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin in einem Forschungsprojekt zum transnationalen Charakter der historischen Avantgarden tätig.

Andra Rotaru
Andra Rotaru
Andra Rotaru (n. 1980) a realizat proiecte la intersecția dintre arte: performance-ul de dans Lemur, prezentat de coregraful Robert Tyree în America și în Europa; documentarul All Together, realizat în cadrul rezidenței The International Writing Program (Universitatea din Iowa, 2014); Photo-letter pairing (fotografie, proiect realizat în colaborare cu numeroși artiști și cu comunitatea din Iowa). Volume publicate: Într-un pat, sub cearșaful alb (2005), Ținuturile sudului (2010); Lemur (2012); Tribar (2018). Lemur a primit premiul „Tânărul poet al anului”, în cadrul Galei Tinerilor Scriitori (2013). Volumul de debut a fost tradus in spaniolă (En una cama bajo la sábana blanca, editura Bassarai, 2008). În 2018, Lemur a apărut la editura americană Action Books (traducere de Florin Bican). Volumul Tribar a apărut în Germania, la ELIF VERLAG, în traducerea lui Alexandru Bulucz (2022). De asemenea, a apărut în SUA, la Saturnalia Books, traducere de Anca Roncea (2022).

Weitere Beiträge:

„Es gibt tatsächlich viele rumänische Autor:innen, die ich sehr reizvoll finde”

Ab dem 30. September 2022, dem Internationalen Tag des Übersetzens veröffentlicht dlite unter dem Motto „Becoming Visible“ eine Reihe virtueller Gespräche zwischen Übersetzer:innen; dabei geht es uns vornehmlich um Herausforderungen, Vorgehensweisen und die berufliche Erfahrung der Held:innen, die uns fremdsprachige Bücher näherbringen.

Geschichte und gesellschaftlicher Wandel in Rumänien im Spiegel der Literatur

In ihrer Dissertation mit dem Titel „Europaentwürfe. Positionierungen der rumänischen Literatur nach 1989” hat Miruna Bacali ausgewählte literarische Werke (z.B. von Cărtărescu, Țepeneag, Manea u.v.m.) als historisches Material gelesen. Dabei hat sie die gesellschaftspolitischen Diskurse untersucht, die sich aus den Texten herauskristallisieren. Matei Vişniecs Theaterstücke hat sie als Quelle ausgewählt, weil darin der vielfältige, dynamische Charakter Europas ganz besonders zum Tragen kommt. Der folgende Auszug ist Teil des 3. Kapitels, „Europentwürfe in der literarischen Fiktion“.

„die Wenigsten nehmen die Rolle der Übersetzer:innen wahr”

Ab dem 30. September 2022, dem Internationalen Tag des Übersetzens veröffentlicht dlite unter dem Motto „Becoming Visible“ eine Reihe virtueller Gespräche zwischen Übersetzer:innen; dabei geht es uns vornehmlich um Herausforderungen, Vorgehensweisen und die berufliche Erfahrung der Held:innen, die uns fremdsprachige Bücher näherbringen.