Sigrid Katharina Eismann | © danube books Verlag

Die Poetin hinter dem Vorhang: Sigrid Katharina Eismann

 Die "Deutschen Literaturtage" in Reschitza bringen seit 31 Jahren Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Deutschland und Rumänien zusammen. In diesem Beitrag berichtet die Dichterin und Übersetzerin Nora Iuga über eine Begegnung mit ihrer Kollegin Sigrid Katharina Eismann, deren Roman "Das Paprika-Raumschiff" 2020 im Verlag Danube Books erschien. Darin blickt Katharina Eismann auf ihre Kindheit in Temeswar und die Übersiedlung mit ihrer Familie nach Deutschland zurück.         

Katharina Eismann traf ich neulich auf den “Deutschen Literaturtagen”, die jährlich in Reschitza stattfinden. Sie kehrte zum ersten Mal aus Deutschland in die ehemalige Stadt des Eisens und Stahls zurück, um die Poesie der Deutschen kennenzulernen, die noch da leben oder ihr „Heimatland” Rumänien längst verlassen haben. Ihre Jugendhaftigkeit fiel mir vom ersten Moment an ins Auge, und eine gewisse Exzentrik, eine ausgeprägte Andersartigkeit, die von ihrer Erscheinung ausgeht. Meine Verwunderung stieg noch mehr an, als ich ihre Gedichte las. Es überraschte mich nicht, dass ihre Texte immer noch den “Duft” des Rozelor-Parks in sich tragen, oder anderer Orte aus Temeswar, die diese in der Stadt an der Bega gebürtige Dichterin in ihrem emotionalen Gedächtnis mit sich herumschleppt. Das kommt oft in den literarischen Werken derer vor, die ihr Herkunftsland mit Erinnerungen im Gepäck verlassen haben. Gleich nach dem Auspacken, verlassen diese Erinnerungen sie nicht mehr.

Diese Charakterisierung, die in ihrem Ansatz etwas nostalgisch anmuten mag, wird schnell einen gewissen romantischen Hauch abschütteln müssen, da dieser neue Auftritt in unserem Reschitza Kreis eher schockierend ist, zumindest in der Art und Weise, wie sie denkt und ihre Poesie aufs Papier bringt.

Ich fühle mich unwiderstehlich zu dieser Art von „écriture automatique” hingezogen, das mich selbst einst in seine sardanapalischen Kreise zog und auch heute noch verlockt. Mich, die im Zeichen des Surrealismus in die Poesie eingetreten ist, ohne zu wissen , was freie Assoziation bedeutet, bei der die formale Logik in die Ecke gestellt wird und nur ein Schwall von Worten aufs Blatt gegossen wird, die ihren unkontrollierten Lauf durch Zufall allein nehmen.

Ich liebe diese Art des Schreibens, das von unseren verborgenen, unbekannten und von keiner Instanz bewachten Kräfte spricht und das sich keiner formalen Logik unterwirft, die, wiederum, die Poesie abtötet. Dieses automatische Schreiben ist die Stimme des Instinkts, es ist die Stimme des Gehörs, des Geruchs, des Tastsinns, unzensiert durch die Überlegenheit der Luzidität, die das Wunder eines Traumes tötet.

Katharina Eismann scheint mit gelernter Lektion auf die Welt gekommen zu sein! Ihre Poesie lüftet das Geheimnis eines verschleierten Existenzialismus und befreit das “hemmungslose” Denken von unserer tyrannischen Vernunft. Ihre Freiheit, es mit den Kanons zu brechen und die Poesie frei wie eine Bergquelle fließen zu lassen, erinnerte mich an eine Begebenheit aus Berlin, als ich zu Gast bei Radio Kultur aufgetreten war und meinen Gesprächspartner fragte, ob Eminescu in Deutschland bekannt sei. Dieser gestand mir verlegen, dass es nicht wirklich der Fall sei, worauf ich, sichtlich überrascht, fragte, ob die Deutschen überhaupt glaubten, in Rumänien existiere keine Poesie. Die Antwort meines Gesprächspartners übertraf meine Erwartungen: “Die rumänische Avantgarde sucht noch seinesgleichen! Dada-ismus, Tristan Tzara, Gherasim Luca, und allen voran der Surrealist Gellu Naum, als größter rumänischer Dichter… “. Ich war verblüfft und dennoch glücklicher als je zuvor. Endlich spürte ich den Rausch des Siegers! Denn es war in Deutschland und in der Schweiz, dass ich die besten Rezensionen bekam und als “ letzter europäischer Surrealist” gepriesen wurde, was mich wiederum vergessen ließ, dass mir deswegen 1971 verboten wurde, acht Jahre lang auch nur eine Zeile zu veröffentlichen … Manchmal sind Zwänge fruchtbar, aber ich möchte nicht, dass Katharina Eismann das durchmacht, was ich durchmachen musste.

Jedenfalls kann ich meine begeisterte Lobrede auf die Originalität dieser Poetin nicht beenden, ohne Ihnen einige ihrer herrlichen Kostproben anzubieten:

 

Aus dem Kaffeesatz ein Satz

…………………………………………

Temeswar, heut stehst du nicht mehr Schlange,

heut husten falsche Fünfziger lungenlosen Scherze

durch deine Alleen,

Zuckerrosen kleben an Fassaden

Feilschende Italiener rochen den Braten

…………………………………………………………………

Temeswar, aus deinen Gräbern pfeifen Chrysanthemen

und deine Gassen rosten vom Plafond bis in die Keller

übergelaufen

………………………………………………………….

 

Josefstädter Markt / Josefin / Temeswar

…………………………………

„Habt ihr einen Schafskäse der tanzt ?“

im Käselabor schwitzen Kacheln

in den Milchfluten

Schneewittchen lacht

mit goldener Zahnpracht

………………………………………….

Das Nest

 

Im Rosenkleid

kam sie hereingeschneit

übers Bett geflogen

 

zwischen

Kronleuchter

graumelierten

Tapeten

vergraben

ineinander

ein Atem

 

aus dem Nest gefallen

ein herzliches Business

lächelt die Concierge

 

ihre

Hand in seiner

Manteltasche

 

sie streichelten

sich so fest

 

Aufgetankt

……………………..

deine Augen sind so grün

lodert ihre Stimme

sie schenkt mir ihr Pfauenkleid

 

wickle es um den Leib,

Bambina es ist geil

und riecht nach Nikotin

 

und Wermut aus Belgrad

©2020 danube books Verlag

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