Schriftstellerinnen, Schriftsteller oder Schriftsteller:in? Wie stehen Sie zu den Diskussionen, die im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Kunst, entstanden sind?
Adelina Pascale: Ich habe bemerkt, dass es in letzter Zeit immer mehr Bemühungen um die Gleichberechtigung der Frauen und Männer gibt (was Lesungen anbelangt, Podiumsdiskussionen, Festivals usw.), aber noch kann ich die Inklusion nicht verspüren. Es gibt weibliche Gäste, aber die Jurys sind immer noch nur mit Männern besetzt. Geschweige denn die Personen mit non-binären Geschlecht, diese sind sowieso ausgeschlossen.
Es gibt einige wenige Projekte zwecks Inklusion, dass stimmt, doch auch nur innerhalb der Community.
Max Czollek: Wenn mein Ziel ist, so viele Menschen wie möglich anzusprechen, finde ich die Unterbrechung sinnvoll, wobei ich eher das Zeichen * verwende. Will ich nur Frauen adressieren, schreibe ich Schriftstellerinnen. Geht es mir nur um die Männer, dann Schriftsteller. Ich finde es gut, dass die deutsche Sprache in den letzten Jahrzehnten an Reflexivität und Präzision gewonnen hat.
Kann man von Geschlechterdiskriminierung in der deutschen/rumänischen Literaturszene sprechen?
Adelina Pascale: Ja, aber ich habe das Gefühl, sie wird jetzt anders verpackt. In mehreren Bereichen der Kunst habe ich Männer sagen gehört: Der Preis wird bestimmt an eine Frau vergeben.
Und wenn man so etwas hört, geht einem der niederschwellig diskriminierende Diskurs über den Wert des weiblichen Geschlechts durch den Kopf. Selbstverständlich bekommt man den Preis, nicht weil man ihn verdient hat, sondern weil es zurzeit in der Kunstszene um Gleichberechtigung geht und sich die Feministinnen aufregen würden, wenn Männer ihn bekommen. Männer haben keine Chance und müssen die Preise den Frauen überlassen, denn es wird eingefordert.
Diese zerbrechliche Männlichkeit der Gentlemen.
Max Czollek: Ja, das steht außer Frage. Schauen Sie sich mal die Belletristik- und Sachbuchprogramme großer Verlage an, die Vergabe von Literaturpreisen oder die Airtime von Autor*innen in deutschen Medien. Überall werden sie eine Ungleichheit zugunsten von Männern finden. Und das, obwohl Frauen etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Von anderen Geschlechtern habe ich da noch nicht mal angefangen..
Welche Bedeutung wird den Literaturpreisen eingeräumt?
Adelina Pascale: Ich würde hier Sichtbarkeit erwähnen. Durch einen Preis gelangen die Bücher/Bänder zu den Leser:innen. Es gibt allerdings noch viele Tabus zum Thema „geeignete Literatur“ für die rumänische Leserschaft. Es gab Auseinandersetzungen, die im Laufe der Zeit den Autor:innen ein negatives Image eingebracht hat. Ich kenne sogar Personen, die mit Morddrohungen zu tun hatten. Denn sie hatten für Bänder, in denen anstößige Wörter vorkommen, Literaturpreise erhalten.
Max Czollek: Eine zu hohe! Literaturpreise suggerieren, dass es eine*n beste*n geben kann. Angesichts der existierenden literarischen Vielfalt vermittelt das eine völlig unzureichende Vorstellung davon, was Literatur eigentlich ist: Ausdruck der radikalen Vielfalt der Gesellschaft, die sich eben auch in der Literatur spiegelt. Vor diesem Hintergrund scheinen mir breit angelegte Förderprogramme für Literatur deutlich sinnvoller als Literaturpreise für einzelne Autor*innen.
Welches sind die Stärken der deutschen / rumänischen Gegenwartsliteratur? Welche Möglichkeiten hat man zur Verfügung, um das Interesse an der eigenen Literatur zu steigern und gute Beziehungen auf literarischer Ebene zu pflegen?
Adelina Pascale: Es ist schön, dass auch bei uns internationale Literaturfestivals organisiert werden, aber wir sind weit entfernt von Deutschland und der dortigen Literaturszene. Ich denke, wenn wir mehr in diese Richtung arbeiten und vielleicht einige gemeinsame Projekte auf die Beine stellen, wird die Literatur auch eine der Stärken Rumäniens werden können.
Max Czollek: Deutsche Gegenwartsliteratur ist eine Art Seismograph der Umgebung, in der sie entsteht. Will man etwas über Deutschland lernen, lohnt es sich, die Literatur zu lesen, die dort entsteht. Und zwar nicht nur von etablierten Namen, sondern gerade die von neueren Stimmen. Da ist in den letzten Jahren viel in Bewegung geraten, ich finde das sehr spannend. Und weil das auch für andere Länder gilt, halte ich literarische Begegnungsprojekte, Festivals und Übersetzungsprogramme für eine gute Möglichkeit, literarische Beziehungen auch im Sinne einer freundschaftlichen Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zu pflegen.
Gibt es eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller aus Rumänien / Deutschland, mit dem Sie sich verbunden fühlen?
Adelina Pascale: Es gibt mehrere Schriftsteller:innen die ich mag: Sean Bonney (der nicht aus Deutschland kommt, den ich aber mit Deutschland in Verbindung bringe, weil er seit 2015 bis zu seinem Tod in 2019 in Berlin gelebt hat), Uljana Wolf, Carolin Callies, Sabine Scho, Vincenzo Döring.
Es gibt Texte, in denen ich mich einfühlen kann und ich würde mich freuen, wenn mehrere Lyrikbände in rumänischer Sprache übersetzt werden würden.
Max Czollek: Ich habe Oskar Pastior, Horst Samson und Herta Müller gern gelesen. Außerdem mag ich Mircea Dinescus frühe Gedichte und eine Weile haben mich die Arbeiten Isidore Isous, Begründer der Lettristen, fasziniert.
Sie haben die Grenzen der Literatur, des klassischen Schreibens an sich, durchbrochen und haben neue Formen ausprobiert. Auf welche Ressource haben Sie zurückgegriffen? Welches Ihrer Bücher hat am meisten zu Ihrer persönlichen Entwicklung und der Ihres literarischen Werdegangs beigetragen?
Adelina Pascale: Maki for 2 ist tatsächlich die Dokumentierung meiner Weiterentwicklung und ein Band des Tauchens. Jeder Tauchvorgang bedeutet etwas: klares Süßwasser, Korallenriffen aber auch Finsternis, Kreaturen, die aus ihren Verstecken gelockt werden, und Sauerstoffmangel.
Aber so wie David Lynch das auch sagte, große Fische fängt man nicht am Ufer, sondern in stürmischen Zeiten, auf hoher See.
Max Czollek: Das ist eine schwierige Frage, auch, weil ich sie zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beantwortet habe. Aber so allgemein wie möglich gesprochen würde ich meinen, dass unterschiedliche literarische Genres – Lyrik, Essay, Prosa, Wissenschaft – unterschiedliche Harmonien auf der gleichen Klaviatur sind. Und dass diese literarischen Genres wiederum in einem Verhältnis zu anderen Kunstformen, zu Ausstellungen oder sogar politischen Diskursen stehen. Mich interessiert genau diese Vielzahl der Klaviaturen.
Übersetzt von Manuela Klenke
Adelina Pascale: https://www.radioromaniacultural.ro/poete-la-maraton-adelina-pascale-cred-ca-in-momentul-acesta-de-evenimente-este-cea-mai-mare-nevoie/
Max Czollek: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Czollek