Schriftstellerinnen, Schriftsteller oder Schriftsteller:in? Wie stehen Sie zu den Diskussionen, die im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Kunst, entstanden sind?
Alke Stachler: Ich muss zugeben, dass ich diese Diskussionen nicht so genau verfolge. Aber was Schreibweisen abgeht, finde ich, dass diejenige Schreibweise verwendet werden sollte, die alle möglichen Identitäten einschließt. Wie genau das umgesetzt und schriftlich abgebildet wird, ändert sich ja immer mal wieder. Da kann man ja informiert bleiben, was gerade aktuell als die inklusivste Schreibweise empfunden wird, und diese dann verwenden. Ist ja nicht so schwer.
Krista Szöcs: Wenn man nach Zadie Smith, John Williams, Virginia Woolf, T.S. Eliot usw. bei Wikipedia sucht, findet man auf Englisch die Wörter writer, poet, essayist. Lange Zeit habe ich mir gewünscht, dass es auf Rumänisch auch solche Wörter gibt. Es tut mir leid, dass aufgrund eines Wortes oder des Wunsches, mit Schriftstellerin, Lyrikerin, Künstlerin angesprochen zu werden, so viele Diskussionen und langwierige Konflikte, die manchmal in Beleidigungen ausarten, entstehen. Aber da wir immer mehr auf die Komplexität zugehen ist es wichtig, dass Nuancen, ganz gleich wie weich sie sind, korrekt benannt werden. Nur, dass diese Korrektheit und Hoffnung leider nicht überall anzutreffen sind. Es gibt Länder, in denen die Frauen kein Recht auf Bildung haben, und die inoffizielle Sprache, die Underground-Sprache, nur noch mehr Desaster mit sich bringt; Diskriminierung bleibt dort weiterhin bestehen und nur wenige Personen können etwas dagegen tun. „Die Arbeit“ innerhalb der Sprache ist ein kleiner Schritt, aber jeder Schritt zählt.
Kann man von Geschlechterdiskriminierung in der deutschen/rumänischen Literaturszene sprechen?
Alke Stachler: Ich finde, Diskriminierung ist ein Wort, das hart ins Gericht geht mit denjenigen, denen sie vorgeworfen wird. Oft steckt, zumindest auf der zwischenmenschlichen Ebene, hinter Verhaltensweisen, die als unfair empfunden werden, eher mangelnde Feinfühligkeit und Empathie als tatsächlich böse Absicht. Das macht die betreffenden Verhaltensweisen natürlich nicht akzeptabler, aber der Anstrich ist ein anderer, finde ich. Auf struktureller Ebene ist das etwas anderes. Da geht man gegen Muster an, die so tief verwurzelt sind, dass sie sich nicht von einem Tag auf den anderen komplett aushebeln lassen. Wobei sogenannte „Strukturen“ ja auch wiederum aus Menschen bestehen, die diese perpetuieren. Was ich persönlich als etwas problematisch wahrnehme, ist eine gewisse Benachteiligung aufgrund des Alters, und da muss ich sagen, das scheint tatsächlich vor allem Frauen zu betreffen, aber das ist jetzt nur mein subjektiver Eindruck. Also, dass das Alter einem ein Hindernis dabei ist, im Betrieb Fuß zu fassen, verlegt zu werden. Einen Debut-Band machen zu können, beispielsweise als über fünfzigjährige Frau, das scheint mir sehr selten ermöglicht zu werden, ganz unabhängig von der womöglichen künstlerischen Qualität des Geschriebenen. Außerdem kann man sich mit über 35 Jahren nicht mehr auf sogenannte Nachwuchsförderungen bewerben.
Krista Szöcs: In den letzten Jahren wurden gegen die Diskriminierung in der rumänischen Literaturszene wichtige Weichen gestellt. Früher gab es bei den Veranstaltungen des Schriftstellerverbands nur männliche Gäste und wenn überhaupt einige weibliche Gäste. Es hat sich einiges verbessert. Es gibt nun auch Veranstaltungen und Preise für Frauenliteratur. Jedoch wünsche ich mir, dass die Organisator:innen eines Festivals mich einladen, weil sie mein Werk schätzen und nicht nur des Gender Balances zuliebe. Irgendwann wird vielleichte jede feine Spur von Frauenfeindlichkeit und Misandrie verschwunden sein und keine von Frauen oder von Männern verfasste Literatur mehr existieren, sondern nur Literatur.
Welche Bedeutung wird den Literaturpreisen eingeräumt?
Alke Stachler: Das kommt darauf an, wen man fragt. Ich würde sagen, es schadet nicht, alles, was mit dem Betrieb zu tun hat, mit einer Prise Salz zu nehmen.
Krista Szöcs: Wenn man sich für ein Stipendium bewirbt, sind Literaturpreise ein Pluspunkt im Lebenslauf und geben einem ein bisschen Selbstwertgefühl, manchmal genau dann, wenn man es am meisten braucht.
Welches sind die Stärken der deutschen / rumänischen Gegenwartsliteratur? Welche Möglichkeiten hat man zur Verfügung, um das Interesse an der eigenen Literatur zu steigern und gute Beziehungen auf literarischer Ebene zu pflegen?
Alke Stachler: Als Stärken der aktuellen Literaturszene sehe ich u.a. die Möglichkeit der Online-Vernetzung, die Dezentralisierung sowie die Autonomie und Emanzipation von etablierten/staatlichen Strukturen. Wer sich sichtbar machen will, wer etwas bewegen will, wer veröffentlichen will, kann das online tun, ohne dabei sozusagen an Türstehern vorbeizumüssen. Auf künstlerischer Ebene sind den Möglichkeiten keine Schranken gesetzt, es ist buchstäblich alles möglich. Das ist Segen und Fluch zugleich, denn die schiere Denkbarkeit jeglicher formal-ästhetischer Gimmicks macht es umso schwerer, einen wirklich ureigenen, authentischen Ausdruck zu finden und sich nicht in blutleeren Spielereien zu verlieren, nur weil man es könnte.
Krista Szöcs: Die rumänische Gegenwartsliteratur ist sehr bunt, Leser:innen können immer etwas für den eigenen Geschmack finden, von Fantasy und Science Fiction bis hin zur Memorialistik und queeren Lyrik. Ich glaube, mehrere deutsche Lyriker:innen müssten ins Rumänische übersetzt werden und andersherum genauso. Ein Projekt, in dem Schriftsteller:innen beider Länder eingeladen sind, sich gegenseitig zu übersetzen, wäre ein wunderbare Zukunftsidee.
Gibt es eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller aus Rumänien / Deutschland, mit dem Sie sich verbunden fühlen?
Alke Stachler: Ich kenne mich mit rumänischer Literatur viel zu wenig aus und kann die Texte leider auch nicht im Original lesen, da ich kein Rumänisch spreche. Aber mir fällt eine rumänische Autorin ein, die auf Deutsch schreibt und deren Gedichte ich sehr schätze, soweit ich sie kenne, und zwar Dana Ranga.
Krista Szöcs: Mit Jan Wagner und Martina Hefter habe ich mich verbunden gefühlt. Letztens entdeckte ich Maren Kames’ Lyrik, die perfekt mit dem Album „Party” von Aldous Harding harmonisiert. Die Lieder habe ich mir obsessiv angehört, während ich „Luna Luna” gelesen habe.
Sie haben die Grenzen der Literatur, des klassischen Schreibens an sich, durchbrochen und haben neue Formen ausprobiert. Auf welche Ressource haben Sie zurückgegriffen? Welches Ihrer Bücher hat am meisten zu Ihrer persönlichen Entwicklung und der Ihres literarischen Werdegangs beigetragen?
Alke Stachler: Das sind viele Fragen auf einmal! Mein zweiter Gedichtband enthält auf jeden Fall eine substantiellere literarische Entwicklung als der erste und bildet diese auch ab, aber der Entstehungsprozess war auch ein ganz anderer als beim ersten Band. Ich habe wirklich Text für Text extra für den Band und seinem Konzept gemäß geschrieben, und in dieser Zeit sind auch keine Texte außerhalb des Projekts entstanden. Eine wichtige Bildquelle waren dabei Märchentexte, aber ich lasse mich beim Schreiben auch viel von bildender Kunst oder visuellen Medien inspirieren, gehe also weg vom Lesen. Oder ich schnappe im Alltag Gesprächsfetzen auf oder notiere eine schräge Formulierung, die ich beim Fernsehen gehört habe. Ressource ist eigentlich alles, ich sehe da auch keine (qualitativen) Unterschiede.
Krista Szöcs: Ich bin in Richtung Musik ausgewandert, ohne Musik kann ich nicht schreiben, lesen, lernen. Da ich in einer Großfamilie in einem kleinen Wohnraum aufgewachsen bin, hatte ich schon in meiner Kindheit die Angewohnheit, mit Musik Hausaufgaben zu machen und zu lernen. So konnte ich mich von dem Lärm um mich herum isolieren. Dieses Zusammenspiel von Musik und Text wollte ich auch in meinem Buch „berlin” wiedergeben, weil diese eklektische Playlist monatelang in Schleife lief und mir beim Schreiben einiger Gedichte geholfen hat. Besonders in solchen Momenten, in denen mir einige Verse unvollendet schienen.
Den stärksten Einfluss auf meine Entwicklung hatte mein Debütband, selbst wenn es mir jetzt schwer fällt, das Buch wieder in die Hand zu nehmen und zu lesen. Aber dank diesem Buch habe ich wertvolle Menschen kennengelernt, die mir jetzt sehr nah sind. Auch habe ich Länder, Städte bereist, von denen ich mir nicht hätte träumen lassen, diese jemals kennenzulernen, als ich noch in meinem kleinen Viertel in Avrig gewohnt habe. Nach meinem Debüt ist auf mich viel Neues und trotzdem Vertrautes zugekommen. Ich glaube, „berlin” wäre nicht unter so guten Bedingungen veröffentlicht worden, wenn es dieses Buch, „cu genunchii la gură“ nicht gegeben hätte. Es hat mir Mut gemacht und das bedeutet unglaublich viel für mich.
Übersetzt von Manuela Klenke
Alke Stachler: https://www.nrvk.de/textraumwohnung-lesung-mit-alke-stachler-im-neuen-ravensburger-kunstverein/
Krista Szöcs: https://nemira.ro/krista-szocs