© dlite

#face2face: Cosmin Perța und Adrian Kasnitz

Im Jahr 1992 wurde in Bukarest zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien der Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa unterzeichnet. Im Jahr 2022 initiiert DLITE Face2Face, eine Reihe von Gesprächen zwischen Schriftsteller:innen aus beiden Ländern, um die Entwicklung und die Vielfalt der zeitgenössischen Ausdrucksformen dieser Kulturen zu erforschen.

Schriftstellerinnen, Schriftsteller oder Schriftsteller:in? Wie stehen Sie zu den Diskussionen, die im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Kunst, entstanden sind?

Cosmin Perța: Ich war und bin immer auf der Seite derer, die benachteiligt sind, in diesem Fall die der Schriftstellerinnen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist kein abstraktes Konzept, sie ist notwendig, unerlässlich und in sich genauso organisch wie das Dasein. Es ist traurig und furchtbar ungerecht, dass auch noch in unserem Jahrhundert das Geschlecht eine Rolle spielt, statt die Anerkennung der Leistung. Das ist bei künstlerischen und intellektuellen Leistungen auch nicht anders. Ein formeller Feminismus, der nur dafür vorgesehen ist, zufriedenstellende Statistiken zu erzeugen, ist es nicht Wert. Ich glaube, man darf auf Qualität und allgemeine Relevanz nicht verzichten, nur um positive Quoten zu erzielen oder ein gutes Bild abzugeben. Zu einer Lösung kommt man, indem man allen die gleichen Chancen einräumt. Sowohl bei der Erziehung und Bildung, sowie auch durch eine faire Bewertung und Vergütung. Letztendlich sollte jede Künstlerin oder jeder Künstler durch diese zwei bereits erwähnten essenziellen Kategorien beurteilt werden: Qualität und allgemeine Relevanz. Nur das Werk und nicht Geschlecht sollte entscheidend sein für das Statut und die Rezeption einer Künstlerin oder eines Künstlers. Selbstverständlich ist das ein Ideal, aber ich hoffe, man kommt irgendwann dahin.

Adrian Kasnitz: Jede einzelne Person verdient ihren Respekt, ihre Anerkennung – und das drückt sich auch sprachlich aus. Wir leben in einer Zeit, in der Identitäten vielfältig sind. Man sollte versuchen, dem gerecht zu werden. Die Kunst ist ja eher akademisch-elitär geprägt und tut sich da manchmal leichter. In anderen Bereichen werden die Veränderungen, die oft einen sozialen Aspekt haben, viel augenscheinlicher. Denken Sie z.B. an den Begriff „Krankenschwester“, den viele immer noch benutzen, obwohl er offiziell längst „Krankenpfleger:in“ oder sogar „Gesundheitspfleger:in“ heißt. Da kommen die Frage nach Gender, Stellenwert der Tätigkeit und sozialer Anerkennung zusammen. In jedem Fall gilt: Sprache ändert sich und darf sich ändern. Eine Ungleichheit, die mit „das haben wir schon immer so gemacht“ argumentiert, ist nicht hinnehmbar.

Kann man von Geschlechterdiskriminierung in der deutschen/rumänischen Literaturszene sprechen?

Cosmin Perța: Leider existiert Diskriminierung immer noch und ganz oft ist sie nicht offensichtlich. Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, der Rasse (wenn wir daran denken, wie schwer es für Roma Künstlerinnen und Künstler ist, in den literarischen Kanon aufgenommen zu werden), aber auch aufgrund des Alters. Wir gehören zu einer Gesellschaft, die die Vorurteile nicht ablegen will oder kann. Vorurteile vereinfachen das Dasein, geben einer bestimmten Kategorie von Menschen Sicherheit und Komfort, gleichzeitig zerstören und zertrampeln sie künstlerische Sensibilität.

Adrian Kasnitz: Auch in der Literaturszene gibt es ein Ungleichgewicht. Vielleicht gilt dies weniger in der jüngeren Generation. Aber je älter die Generation wird, desto weniger Frauen sind sichtbar in der Szene, schreiben, sind in wichtigen Positionen in Verlagen oder Institutionen. Wenn man dann an Friederike Mayröcker oder Elke Erb als zwei grand dames der deutschsprachigen Lyrik denkt, merkt man, wie allein sie in ihren Generationen als Frauen sind/waren. Natürlich sind heute Frauen weitaus präsenter – gerade in der Literaturszene. Aber die Frage muss immer sein: wie lange bleiben sie dabei? Nur als „Fräuleinwunder“ (wie es mal ein unglücklicher Begriff für eine Autorinnen-Welle Anfang der 2000er Jahre war) oder gelangen sie auch in die mächtigen Positionen in Verlagen, Institutionen, Jurys, Stiftungen etc.?

Welche Bedeutung wird den Literaturpreisen eingeräumt?

Cosmin Perța: Ich weiß nicht, ob Literaturpreise in Rumänien noch von Bedeutung sind. Vielleicht für das Ego derer, die ihn bekommen, aber das wars dann auch. Sie haben keine finanzielle Stärke für die Preisträger. Ein oder zwei Jahre davon zu leben, und sich auf das Schreiben eines Buches zu konzentrieren, ist nicht möglich. Das rumänische Publikum fühlt sich auch nicht genug angesprochen. Die Verkaufszahlen steigen durch Erhalten eines Preises nicht so, wie das in anderen Kulturen geschieht. Dementsprechend sind Literaturpreise eine eher formelle Anerkennung, die keine relevanten Auswirkungen auf den Büchermarkt, das Leben des Autors oder den literarischen Kanon hat.

Adrian Kasnitz: Sie sind natürlich wichtig als Förderung und Einnahmequelle von Autor:innen. Aber für das Publikum sind sie häufig weniger wichtig, als man denkt. Nur die großen Preise wie Büchner- oder Nobelpreis haben eine größere Wirkung.

Welches sind die Stärken der deutschen / rumänischen Gegenwartsliteratur? Welche Möglichkeiten hat man zur Verfügung, um das Interesse an der eigenen Literatur zu steigern und gute Beziehungen auf literarischer Ebene zu pflegen?

Cosmin Perța: Die rumänische Gegenwartsliteratur ist wettbewerbsfähig, anpassbar, expressiv und ziemlich vielfältig. Das sind ihre Stärken. Die Pflege der Beziehungen auf literarischer Ebene kann nur durch die Steigerung der Übersetzungsförderungen geschehen. Ich bin mir sicher, die unterschiedlichen Kulturen würden davon profitieren.

Adrian Kasnitz: Gegenwärtig öffnet sich die Gegenwartsliteratur auf vielen Ebenen. Zum einen rücken Autor:innen (und ihre Themen) aus vielen verschiedenen Schichten, mit vielen Identitäten (Herkunft, Geschlecht, Religion, Sprache) in den Vordergrund, die man lange Zeit übersehen oder ausgegrenzt hatte. Zum andern ändert sich auch das, was ein gut verkaufbares Buch sein kann. Bisher war es eher der Standardroman von 250-300 Seiten. Jetzt können aber auch andere Textformen wie Kurzromane, erzählende Essays, Hybridtexte oder auch Lyrikbände Bestseller werden. Das ist jedenfalls spannend.

Gibt es eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller aus Rumänien / Deutschland, mit dem Sie sich verbunden fühlen?

Cosmin Perța: Einer meiner Lieblingsautoren ist Saša Stanišić. Wir haben ähnliche Ansichten und Wahrnehmungen der uns umgebenden Realität. Ich hoffe, ich kann irgendwann einen Kaffee mit ihm zusammen trinken.

Adrian Kasnitz: Von den deutschsprachigen natürlich Herta Müller und Paul Celan. Von den rumänischsprachigen mag ich Mircea Cărtărescu oder Dumitru Țepeneag. Lavinia Braniște steht auf meiner Leseliste.

Sie haben die Grenzen der Literatur, des klassischen Schreibens an sich, durchbrochen und haben neue Formen ausprobiert. Auf welche Ressource haben Sie zurückgegriffen? Welches Ihrer Bücher hat am meisten zu Ihrer persönlichen Entwicklung und der Ihres literarischen Werdegangs beigetragen? 

Cosmin Perța: Mein Bedürfnis, mich als Künstler zu äußern, hat mich durch verschiedene Landschaften geführt. Dadurch bin ich einem kohärenten Diskurs gefolgt. Ästhetik und auch Soziales sind die Schwerpunkte, auf die ich setzte. Was den Einfluss der eigenen Bücher betrifft, für mich spielt immer mein letztes Buch eine tragende Rolle. Warum? Weil mich das am meisten verändert, motiviert und beeinflusst. Das letzte Buch ist immer das Beste.😊

Adrian Kasnitz: Ich glaube, zuletzt war es der Gedichtband „Glückliche Niederlagen“, der für mich ein wichtiger Schritt war und zwar deshalb, weil er auch einen großen Austausch mit anderen Künstler:innen ermöglicht hat. Er wurde bisher ins Spanische und teilweise ins Französische übersetzt. Eine Übersetzung ins Polnische ist in Arbeit. Eine Texte daraus wurden als Poesiefilme verfilmt und im letzten Jahr entstanden musikalische Improvisationen zu einigen Texten. Das ist eigentlich das, was ich am liebsten mag: Das sich der eigene Text verselbständigt, in andere Kunstformen übergeht oder in andere Sprachen wechselt. Die Texte (und das hat natürlich auch die Corona-Zeit gezeigt) können weiter reisen, als ich es selbst kann.

Cosmin Perța: http://www.romanianliteraturenow.com/authors/cosmin-perta/

Adrian Kasnitz: https://de.wikipedia.org/wiki/Adrian_Kasnitz

Übersetzt von Manuela Klenke

Andra Rotaru
Andra Rotaru
Andra Rotaru (n. 1980) a realizat proiecte la intersecția dintre arte: performance-ul de dans Lemur, prezentat de coregraful Robert Tyree în America și în Europa; documentarul All Together, realizat în cadrul rezidenței The International Writing Program (Universitatea din Iowa, 2014); Photo-letter pairing (fotografie, proiect realizat în colaborare cu numeroși artiști și cu comunitatea din Iowa). Volume publicate: Într-un pat, sub cearșaful alb (2005), Ținuturile sudului (2010); Lemur (2012); Tribar (2018). Lemur a primit premiul „Tânărul poet al anului”, în cadrul Galei Tinerilor Scriitori (2013). Volumul de debut a fost tradus in spaniolă (En una cama bajo la sábana blanca, editura Bassarai, 2008). În 2018, Lemur a apărut la editura americană Action Books (traducere de Florin Bican). Volumul Tribar a apărut în Germania, la ELIF VERLAG, în traducerea lui Alexandru Bulucz (2022). De asemenea, a apărut în SUA, la Saturnalia Books, traducere de Anca Roncea (2022).

Weitere Beiträge:

„Es gibt tatsächlich viele rumänische Autor:innen, die ich sehr reizvoll finde”

Ab dem 30. September 2022, dem Internationalen Tag des Übersetzens veröffentlicht dlite unter dem Motto „Becoming Visible“ eine Reihe virtueller Gespräche zwischen Übersetzer:innen; dabei geht es uns vornehmlich um Herausforderungen, Vorgehensweisen und die berufliche Erfahrung der Held:innen, die uns fremdsprachige Bücher näherbringen.

Geschichte und gesellschaftlicher Wandel in Rumänien im Spiegel der Literatur

In ihrer Dissertation mit dem Titel „Europaentwürfe. Positionierungen der rumänischen Literatur nach 1989” hat Miruna Bacali ausgewählte literarische Werke (z.B. von Cărtărescu, Țepeneag, Manea u.v.m.) als historisches Material gelesen. Dabei hat sie die gesellschaftspolitischen Diskurse untersucht, die sich aus den Texten herauskristallisieren. Matei Vişniecs Theaterstücke hat sie als Quelle ausgewählt, weil darin der vielfältige, dynamische Charakter Europas ganz besonders zum Tragen kommt. Der folgende Auszug ist Teil des 3. Kapitels, „Europentwürfe in der literarischen Fiktion“.

„die Wenigsten nehmen die Rolle der Übersetzer:innen wahr”

Ab dem 30. September 2022, dem Internationalen Tag des Übersetzens veröffentlicht dlite unter dem Motto „Becoming Visible“ eine Reihe virtueller Gespräche zwischen Übersetzer:innen; dabei geht es uns vornehmlich um Herausforderungen, Vorgehensweisen und die berufliche Erfahrung der Held:innen, die uns fremdsprachige Bücher näherbringen.