Schriftstellerinnen, Schriftsteller oder Schriftsteller:in? Wie stehen Sie zu den Diskussionen, die im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Kunst, entstanden sind?
Livia Ștefan: Anfangs hat mich das Gendern genervt. Ich war der Meinung, dass wir die Endungen -or/-oare nicht wirklich brauchen (Anm.d. Ü. die weibliche Form des Substantivs erkennt man in der rumänischen Sprache durch die Endung -oare). Denn ich entscheide selbst, mich Schriftsteller und Lyriker zu betiteln, wenn ich das so möchte. Es hat sich wie eine Pflicht angefühlt, dass ich mich für Schriftstellerin/Lyrikerin entscheide. Es fällt mir immer noch schwer, Lyrikerin zu schreiben, in Anbetracht der Tatsache, dass ich Lyriker sein möchte. Selbt wenn der Lyriker Livia Ștefan völlig bescheuert klingt.
Ann Cotten: Ich bin für alle Arten von Sichtbarmachen der unsichtbaren Diskriminierung, die auch in der Sprache geübt wird. Die konservativen Widerstände gegen die vielfältigen Formen sind nur nervig. Das deutsche Feuilleton ist ungefähr dazu da, um meine gebrauchten Tampons einzuwickeln! Uninteressant!
Kann man von Geschlechterdiskriminierung in der deutschen/rumänischen Literaturszene sprechen?
Livia Ștefan: Mit der Zeit habe ich durch die vermehrten Debatten und Skandale verstanden, dass das Gleichgewicht um die Präsenz und die Chancengleichheit für viele Autorinnen von Bedeutung sind. Weitaus mehr als diese Diskussionen, denen ich nicht allzu viel Raum in meinen Gedanken einräume, interessiert mich die Auflösung einer sehr beschämenden Situation, die in unserer Kultur leider da ist: das nicht hinnehmbare Fehlen der Frauen in den Lehrwerken für rumänische Literatur und Sprache. Für mich ist das eine Form von massiver Diskriminierung, über die wir durchaus so lange sprechen müssen, bis sich etwas ändert.
Ann Cotten: Es ist tricky. Manchmal begegnen einem scheinbar positiv gemeinte Klischees, Zuordnungen und Interpretationen, gegen die es schwer ist, sich zu wehren, weil sie nett gemeint sind. Etwa als wütender junger Mensch mit Epitheta wie trotzig, rotzig, rebellisch bedacht zu werden kommt einer Art Softporno-isierung gleich, die jungen männlichen Schreibenden nicht in diesem Ausmaß begegnet. Bei Literaturhäusern wie an den Unis sieht man immer noch oft einen männlichen Chef, und drei bis fünf Frauen in der Etage darunter. Das sind insgesamt mehr Frauen als Männer, aber macht zugleich den Eindruck, 3-5 Frauen sind so viel wert wie 1 Mann, oder hat sogar Haremsstruktur. Sowas ist umso gefährlicher, je unbewusster es als Normalität akzeptiert wird, deswegen muss man scharf aufpassen, auch wenn alles nett aussieht.
Welche Bedeutung wird den Literaturpreisen eingeräumt?
Livia Ștefan: Ich weiß nicht, ehrlich. Wenn ein Skandal um einen Preis entsteht, dann erfahren vielleicht 5-10 Menschen, dass Gegenwartslyrik existiert. Diese sind dann 5 Minuten empört von der Art und Weise, wie in unseren Zeiten geschrieben wird, ja und dann gerät das schnell in den Hintergrund. Ansonsten… Diese Frage müsste man den Outsidern stellen, dem Publikum, den anonymen Leserinnen und Leser.
Ann Cotten: Von wem denn?
Welches sind die Stärken der deutschen / rumänischen Gegenwartsliteratur? Welche Möglichkeiten hat man zur Verfügung, um das Interesse an der eigenen Literatur zu steigern und gute Beziehungen auf literarischer Ebene zu pflegen?
Livia Ștefan: Die großartigste Stärke der rumänischen Literatur ist, dass sie immer stärker wird. Übersetzungen aus der Gegenwartsliteratur sind besonders wichtig, die von gestern ist uns bereits bekannt.
Ann Cotten: Gut schreiben hilft. Lesernnnie und Kollegennni mit Respekt begegnen, auch wenn man nicht versteht oder mag, was sie machen, aber nicht quatschen, was man denkt, es wird von einem erwartet.
Gibt es eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller aus Rumänien / Deutschland, mit dem Sie sich verbunden fühlen?
Livia Ștefan: Ja – W.G. Sebald, der mir den Eindruck verschafft hat, dass ich in einem Labyrinth herumirre, erschlagen von Nostalgie und objektloser Sehnsucht.
Ann Cotten: Mircea Eliade… Tristan Tzara… Dana Ranga… Paul Celan, doch, immer mehr. Man sieht, ich bin ignorant und kenne nur die, die in der Welt unterwegs waren.
Sie haben die Grenzen der Literatur, des klassischen Schreibens an sich, durchbrochen und haben neue Formen ausprobiert. Auf welche Ressource haben Sie zurückgegriffen? Welches Ihrer Bücher hat am meisten zu Ihrer persönlichen Entwicklung und der Ihres literarischen Werdegangs beigetragen?
Livia Ștefan: Ich habe auf große Mengen Gin zurückgegriffen. und auf alles, was mir sonst durch den Kopf ging, das ich als zwingend notwendig hielt für mein Schreiben oder ganz im Gegenteil, mir einen Notausgang verschafft hat, um mich vom Schreiben abzukapseln. Musik, Fotografie, Theater machen, Improvisierung, und ab und zu einige flüchtige Performances.
Thanato Hotel.
Ann Cotten: Immer das aktuelle.
Übersetzt von Manuela Klenke
Ann Cotten: https://en.wikipedia.org/wiki/Ann_Cotten
Livia Ștefan: http://www.paragraphiti.com/romanian-poetry/livia-stefan#