Schriftstellerinnen, Schriftsteller oder Schriftsteller:in? Wie stehen Sie zu den Diskussionen, die im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Kunst, entstanden sind?
Iris Wolff: Ich habe mich immer als Schriftstellerin bezeichnet, unter dem Oberbegriff „Schriftsteller“ fühle ich mich nicht angesprochen. Da Sprache in gewisser Hinsicht unsere Welt erst erschafft, ist es wichtig, dass sich unsere Ansprüche und Hoffnungen auch in der Sprache widerspiegeln. Ich hoffe auch, durch meine literarischen Figuren etwas zu der Aufweichung dieser Stereotype und Rollenbegrenzungen beizutragen. Von Gender-Doppelpunkten oder Binnen-I’s halte ich jedoch nichts. Ich kann sie nicht in meiner Literatur verwenden, und so sind sie auch nicht Teil meiner Alltagssprache.
Moni Stănilă: Schriftsteller und Schriftstellerinnen klingt, als ob wir von Obst und Gemüse reden würden. Etwas aus der näheren Umgebung und trotzdem andersartig. Ich fühle mich aus der Fomulierung „Schriftsteller” nicht ausgeschlossen. Aber ich glaube, Frauenliteratur wird nicht ausreichend thematisiert. Sie bedarf mehr Aufmerksamkeit in Förder- und Übersetzungsprojekten (oder vielleicht besonders darin).
Kann man von Geschlechterdiskriminierung in der deutschen/rumänischen Literaturszene sprechen?
Iris Wolff: Da ich mich darum bemühe, die Welt aus meinen eigenen Erfahrungen heraus zu beurteilen, kann ich zu dieser Frage nichts sagen außer: Ich selbst habe im Bereich der Literatur keine Diskriminierung erfahren, sondern stets Wertschätzung.
Moni Stănilă: Ja, Diskriminierung existiert. Bei Festivals, die im Rahmen von alteingesessenen Strukturen organisiert werden. Bei Schreibvereinen, Kulturhäusern usw. beträgt der Prozentsatz von eingeladenen Schriftstellerinnen 25%. Die Opera-Omnia-Preise werden hauptsächlich an Autoren verliehen. Selbst die Titelseiten der Literaturzeitschriften sind meistens den Schriftstellern gewidmet.
Welche Bedeutung wird den Literaturpreisen eingeräumt?
Iris Wolff: Literaturpreise sind wichtig. Sie haben einen materiellen Wert, da sie unerlässliche finanzielle Hilfen sind in einem Beruf, der kein festes Einkommen generiert; sie haben aber, vielleicht wichtiger noch, einen immateriellen Wert, der erhalten bleibt, wenn das Geld, das daran geknüpft ist, längst ausgegeben ist. Man wird in die Tradition einer bestimmten Schriftstellerin oder eines Schriftstellers gestellt, und wird auf Lebenszeit diese Ehrung im Lebenslauf haben.
Moni Stănilă: Ich weiß nicht, welche Rolle Literaturpreise spielen. Denn ich erhielt nicht viele Literaturpreise, und diejenigen, die ich erhielt, sind nicht die angestrebtesten. Also kann ich nicht genau sagen, ob sie noch eine andere Rolle spielen, außer der finanziellen.
Welches sind die Stärken der deutschen / rumänischen Gegenwartsliteratur? Welche Möglichkeiten hat man zur Verfügung, um das Interesse an der eigenen Literatur zu steigern und gute Beziehungen auf literarischer Ebene zu pflegen?
Iris Wolff: Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ist außerordentlich vielfältig. Allein was die Lyrik-Szene anbelangt, mit Jan Wagner, Uwe Kolbe oder Nadja Küchenmeister. Für mich vor allem interessant sind die vielen Kolleginnen und Kollegen, die, wie ich es nenne, den „doppelten Blick“ haben, also in ihrem Leben oder aus dem eigenen Familienhintergrund verschiedene Sprachen und Kulturen kennengelernt haben, etwa Marica Bodrožic, Ivna Žic, Dana Grigorcea, Saša Stanišić. Dieses Spiel mit anderen Sprachen, Kulturen und Zeiten interessiert mich in der Literatur. Was die zweite Frage anbelangt: Für mich war es immer wichtig, zu reisen, Lesungen und Veranstaltungen zu machen, um so ein Netzwerk zu knüpfen, und mich über Literatur auszutauschen. Bücher entstehen nicht im luftleeren Raum, es braucht die Stille, den Rückzug, aber dann auch immer wieder Welt, viel Welt.
Moni Stănilă: Rumänische Lyrik ist sehr ausdrucksstark. Sie sollte in der Öffentlichkeit bekannter sein. Was die rumänische Prosa betrifft, es wäre wunderbar, wenn man auch noch andere Themen exportieren würde außer Kommunismus und die Fallen des Übergangs.
Gibt es eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller aus Rumänien / Deutschland, mit dem Sie sich verbunden fühlen?
Iris Wolff: Nora Iuga in ihrem Humor und ihrer Bildhaftigkeit. Panaït Istrati in seinem sprachlichen Detailreichtum.
Moni Stănilă: Es gibt ein paar Klassiker der deutschen Literatur, die ich mag. Jüngere Schriftsteller habe ich eher weniger gelesen. Von denen haben mir mehrere zugesagt, aber meine große Liebe bleibt Ernst Jünger. Ich wünschte, ich könnte mit der gleichen Präzision schreiben. Mit gleicher Stärke das Erlebte neugestalten. Jünger ist Eminescu und Dostoievski gleich, selbst wenn jemand anders besser ist, fehlt mir die Kraft, das zu erkennen. Die erste Liebe hält.
Sie haben die Grenzen der Literatur, des klassischen Schreibens an sich, durchbrochen und haben neue Formen ausprobiert. Auf welche Ressource haben Sie zurückgegriffen? Welches Ihrer Bücher hat am meisten zu Ihrer persönlichen Entwicklung und der Ihres literarischen Werdegangs beigetragen?
Iris Wolff: Mit der literarischen Form eines Romans zu spielen ist für mich inzwischen ebenso wichtig, wie der Inhalt. Das war nicht immer so. Meine ersten beiden Romane „Halber Stein“ und „Leuchtende Schatten“ sind eher klassisch erzählt. Mein dritter Roman „So tun, als ob es regnet“ (jeder wird sofort das rumänische Sprichwort erkennen), war wie eine Befreiung. Ich habe ein Jahrhundert anhand von vier Geschichten auf hundertfünfzig Seiten aufgefächert. Lesend knüpft man die Verbindungen und füllt die Lücken mit seiner Fantasie. Literatur entsteht immer im Kopf, erfordert das In-Beziehung setzen. Dann hat ein Text transformative Kraft, und schafft Bilder, die bleiben. Mit meinem vierten Roman, der in diesem Herbst im rumänischen Verlag „Lebăda Neagră“ erscheint, habe ich auf Stilmittel aus meinem Malerei-Studium zurückgegriffen: Schärfe und Unschärfe, Licht und Dunkel, gedachte und ausgesprochene Linien, Reihung und Rhythmus – so werden die sieben verschiedenen Perspektiven ein organisches Ganzes.
Moni Stănilă: Anderen künstlerischen Bereichen bin ich nicht wirklich näher gekommen. Das hat einfach nicht geklappt. Ich habe an einer Kunstveranstaltung teilgenommen, bei der Werke aufgrund meiner Gedichte entstanden sind, aber ich kann nicht sagen, dass ich über die Grenzen des Schreibens hinaus gekommen bin. Was den zweiten Teil der Frage betrifft: Das Buch „Brâncuși sau cum a învățat țestoasa să zboare” („Brâncuși oder wie die Schildkröte gelernt hat zu fliegen”) hat mich bei der Leserschaft bekannt gemacht. „Colonia fabricii”(„Die Fabrik-Kolonie”) hatte einen großen Einfluss auf meine Weiterentwicklung. Wenn ich ein Buch von mir, das übersetzt werden sollte, aussuchen dürfte, dann wäre es genau dieses. Wenn man will, kann man es als eine rumänische Geschichte des XX. Jahrhunderts sehen, in ihrer subjektivsten Form. Dieses Buch hat mir Selbstvertrauen geschenkt. Der Roman „Țipă cât poți” („Schrei so laut du kannst”) hat mir gezeigt, dass ein literarisches Experiment viele Leser hat und ihre Herzen erreichen kann. Das hat mich sehr gefreut. Es ist ein Roman ohne Liebesgeschichten, ohne Protagonisten, der aber viele positive Rückmeldungen seitens der Leserschaft bekommen hat. Literatur hat also immer noch hervorragende Chancen, sie ist nicht ersetzt worden.
Übersetzt von Manuela Klenke
Iris Wolff: https://de.wikipedia.org/wiki/Iris_Wolfff
Moni Stănilă: https://www.eurolitnetwork.com/the-romanian-riveter-football-diary-by-moni-stanila-translated-by-florina-luminos/