Ciprian Măceșaru: Diese Fragen haben mich an eine der Minuten-Novellen des ungarischen Schriftstellers István Örkény erinnert: Ein Anruf am sehr frühen Morgen. Darin wird ein Bewunderer Sándor Petőfis von dem Dichter selbst aus dem Jenseits angerufen. Dieser teilt ihm mit, dass er gehört habe, er habe sich wohlgesinnt über ihn geäußert und nun hätte er drei Minuten zur Verfügung, in denen er alles fragen könne, was ihm beliebe. Überwältigt bestätigt der Bewunderer, dass er gerne etwas erfahren würde „nur dass mir jetzt” – sagt dieser – „nichts einfällt.” Petőfi besteht vergebens darauf. „Was soll ich sagen? Ich hätte mehr von Ihnen erwartet”, erwidert er enttäuscht. So ungefähr sieht es auch bei mir aus. Ich wüsste nicht, was ich Celan fragen sollte. Sein tragisches Schicksal hemmt mich. Wahrscheinlich würde ich ihn nichts Bewegendes fragen. Es wäre wunderbar, wenn ich ihm eine Freude machen könnte, so klein sie nur sein mag. Ich weiß, das klingt so schleimig. Sollte ich aber für einen Augenblick meinen Verstand verlieren, würde ich ihn fragen, ob die Poesie immer im Zusammenhang mit dem Leben des Poeten stehen muss. Ich tendiere dazu, zu glauben, dass mir Paul Celan sagen würde, dass das Dasein des Dichters die von ihm geschriebene Poesie beinhaltet, dass die Poesie nur fälschlicherweise außerhalb davon existieren kann. Ich allerdings finde es gut, mich ab und zu von mir selbst zu lösen, neue Situationen zu erfinden, die ich nicht aus meiner eigenen intimen Struktur herausreiße. Es ist vielleicht meine Art, mich zu schützen, das Material, mit dem ich arbeite, zu kühlen, weil ich manchmal fühle, dass mich die Poesie erdrücken könnte. Somit ist meine Poesie nicht immer ein Eingeständnis, nicht mal dann, wenn ich aus der „Ich”-Perspektive chreibe, denn dieses „Ich” stellt nur eine Rolle dar. Das bedeutet aber nicht, dass ich etwas vortäusche. Ich hinterlasse den (intelligenten) Leser:innen die Verknüpfungen, durch die sie zwischen persönlichen Radiographien und fiktionalen Eskapaden unterscheiden können. Jetzt habe ich unanständig viel über mich „gesprochen”. Verzeihung! „Was soll man sagen? Wir hätten mehr von Ihnen erwartet”, könnten Sie mir sagen. Darauf würde ich mit einigen Versen aus Celan antworten: „Stille! Ich treibe den Dorn in dein Herz,/ denn die Rose, die Rose/ steht mit den Schatten im Spiegel, sie blutet!/ Sie blutete schon, als wir mischten das Ja und das Nein,/ als wirs schlürften,/ weil ein Glas, das vom Tisch sprang, erklirrte:/ es läutete ein eine Nacht, die finsterte länger als wir.” (ins Rumänische übersetzt von Mihail Nemeș). Die Poesie Celans ist (wie eine Wunde) die genial offenbarte Aufzeichung, eine Warnung, der Beweis, dass es nach Auschwitz möglich und notwendig war, zu schreiben.

#face2face: Alexandru Bulucz und Florentin Popa
Im Jahr 1992 wurde in Bukarest zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien der Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa unterzeichnet. Im Jahr 2022 initiiert DLITE Face2Face, eine Reihe von Gesprächen zwischen Schriftsteller:innen aus beiden Ländern, um die Entwicklung und die Vielfalt der zeitgenössischen Ausdrucksformen dieser Kulturen zu erforschen.