Welchen Einfluss hatten die Filme und die Bücher Ihrer Kindheit oder das Umfeld, in dem Sie aufgewachsen sind, auf Ihre Literatur, die Erschaffung Ihrer Charaktere, oder die Handlung in ihren Romanen? Welches war Ihre erste Schreiberfahrung?
Oliver Bottini: Mit 14 Jahren – 1979 – habe ich zur Hochzeit eines meiner Onkels ein Gedicht geschrieben; damit hat alles angefangen. Mein familiäres Umfeld hat sicherlich für mein Schreiben eine große Rolle gespielt. Es war gutbürgerlich, Literatur und Musik waren sehr wichtig, so habe ich viel gelesen und schon als Kind Klavierunterricht gehabt. Ich war den Umgang mit Fantasiewelten und die Transformation eigener Emotionen ins Äußere also gewohnt, ja, es war für mich essentiell, mich durch Musik und Literatur auszudrücken.
Michael Hăulică: Ich bin in einem Haus mit vielen Büchern aufgewachsen und durfte lesen, was ich wollte. Und was mir am meisten gefiel, waren die Abenteuerbücher – es gab eine Sammlung, Cutezătorii, ich weiß nicht mehr, zu welchem Verlag das gehörte – bei welchem ich Bücher nach meinem Geschmack finden konnte. Ich erinnere mich, dass mir meine Mutter immer wieder sagte: Nimm auch mal ein normales Buch in die Hände, lass die Abenteuern bei Seite, damit wirst du im Leben nichts erreichen. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht vielleicht Recht damit hatte. All das passierte vor meinem 15. Geburtstag. Danach war ich in der Schule und zu beschäftigt mit Mathematik, um Zeit für etwas anderes zu haben (obwohl ich mir die Zeit nahm, Literaturzeitschriften zu schreiben und zu lesen). Und während des Studiums… na, ja, da habe ich die Schriftsteller der achtziger Jahren entdeckt, den neuen französischen Roman… Auch schwer zu lesen.
Ich weiß nicht mehr genau, wann mir die SF- und Detektivliteratursammlungen vor die Augen kamen (oh ja, es gab einige Sammlungen: Enigma, Aventura…), aber ich kann nicht damit prahlen, dass ich als Kind mit Jules Verne und H.G. Wells unter meinem Kissen geschlafen habe. Ich habe von allem etwas gelesen. Ich entdeckte die echten SFs nach 1987, als ich selbst anfing, SF zu schreiben, nachdem ich Mitglied des Quasar-Literaurkreises in Iași geworden bin. Und die Detektivbücher… Ich denke, dass sie in den letzten 4-5 Jahren zu einer besonderen Leidenschaft geworden sind, vor allem nachdem ich die nordischen Schriftsteller entdeckt habe.
Mit dem Schreiben habe ich schon früh begonnen, denn jeder weiß, dass der Rumäne ein geborener Dichter ist. Mit 14 habe ich angefangen Gedichte zu schreiben und habe das auch bis ich 33 Jahr geworden bin, gemacht (hier und da veröffentlichte ich ein Gedicht; mehrere Dutzend wurden zu Liedern, die meisten davon wurden von Radu Ștefan aus Iași komponiert). Dann schloss ich mich der Gruppe von Prosaschriftstellern an.
Ein spannender Roman, der Roman, der ihren Stil geformt hat, ist….
Oliver Bottini: Das waren zwei, abgesehen von den großen literarischen Vorbildern meiner Jugend, nämlich „Tage der Toten” von Don Winslow und „Wahrheit” von Peter Temple. Mir war vom ersten publizierten Kriminalroman an klar, dass ich mich im Grenzbereich Genre / Literatur bewegen, also nicht einfach „nur” das Genre bedienen will. Die Sprache hat für mich fast den höchsten Stellenwert, gefolgt von der gesellschaftlichen und politischen Relevanz meiner Themen.
Michael Hăulică: Ich weiß nicht genau, wie spannend sie waren, aber ich glaube, drei Bücher haben mich als Schriftsteller geprägt: Chrome von William Gibson (kurze Cyberpunk-Prosa), Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez und Die Woche der Wahnsinnigen von Eugen Barbu. Ich denke, das könnten meine Wurzeln sein. Und die Orte, an denen ich mich immer zu Hause fühle.
Welche Tendenzen sind in der deutschen gegenwärtigen Krimiliteratur zu beobachten?
Oliver Bottini: Sie ist – endlich! – auch in der Breite politischer geworden. Und sehr aktuell: Sie werden in den Verlagsprogrammen viele Krimis über Seuchen oder auch die nahe Zukunft finden.
Welche Tendenzen sind in der rumänischen gegenwärtigen Krimi- und SF/Fantasyliteratur zu beobachten? Die rumänische Verlage haben ihre Sammlungen, die diesem Genre gewidmet sind, zunehmend diversivifiziert und das Publikum scheint das anzunehmen. Bleiben sie auf dem Laufenden mit den Veröffentlichungen aus anderen kulturellen Genres?
Michael Hăulică: In SF & Fantasy & Horror ist die sichtbarste Tendenz der rumänischer Autoren im Ausland zu Veröffentlichen veröffentlichen, insbesondere im angloamerikanischen Raum. Liviu Surugiu, Florin Purluca und Marian Coman sind nur einige von denen, die in letzter Zeit Geschichten in bekannten Magazinen veröffentlicht haben. Mit besonders großen Erfolg hat Falvius Ardelean ein Buch in Deutschland veröffentlicht, das bereits auch in Russland erscheinen wird. Da Flavius auch ein ausgezeichneter Schriftsteller ist sehe ich auch einen Trend im literarischen Schreiben über die modernen Themen hinaus , zu dem auch Jeff VanderMeer oder Robert Jackson Bennet eingeordnet werden könnten (vielleicht ist das kein Zufall, dass ich die beide amerikanischen Schriftsteller auf Rumänisch zu meiner herausgegebenen Sammlungen aufgenommen habe).
Was die Krimis betrifft, so hat das nordische Noir überall auf diesem Gebiet Spuren hinterlassen, und rumänische Schriftsteller haben auch damit begonnen, sich um das Soziale, um das Individuum zu kümmern… Aber über Subjekte und Themen hinaus folge ich immer noch dem Schreibstil wie ich sie in den Romanen von Camilla Grebe, Niklas Natt och Dag oder Jo Nesbø genossen habe. Genauso würde ich gerne die gleiche Freude am Schreiben in rumänischen Schriften entdecken.
Unsere Verlage? Ja, sie veröffentlichen Krimis Tag und Nacht, und ich erinnere mich immer noch ganz genau an die ganzen Bemühungen die nötig waren, um zu sehen, dass sich der Krimi wirklich verkauft. So erkläre ich mir auch warum die übersetzten Bücher so schnell veröffentlicht werden.. Sehr viele Neuheiten in dieser Rubrik erscheinen fast gleichzeitig mit dem Originalen, im selben Jahr.. Oder vielmehr genauso viele wie in englischer Sprache erscheinen. Ich habe etwas gegen der Übersetzung nach den englischen Vorlage, das heißt, auf dem rumänischen Markt das zu liefern, was der rumänische Übersetzer von dem verstanden hat, was der englische Übersetzer verstanden hat. Und manchmal verstand der englische Übersetzer nicht so viel, ein paar Mal dachte ich, dass der Mann genauso viel Schwedisch wie ich kann, nur dass er die Kühnheit hat, sich mit den Übersetzungen zu befassen. Zusammenfassend sind wir mit unseren Übersetzungen etwas auf dem neuesten Stand. Ich sage „etwas“, weil es immer noch viele Schriftsteller gibt (einige sind sogar sehr berühmt), die von den rumänischen Verlagen noch nicht bemerkt wurden, ich weiß nicht warum. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, denn ich bin ein optimistischer Typ.
Sie haben als Ort der Handlung in dem Roman Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens eine Gegend aus dem Westen Rumäniens ausgewählt. Wie kam es dazu?
Oliver Bottini: Ich wollte über Land Grabbing (im Deutschen häufig mit „Landraub” übersetzt) schreiben und habe bei der Recherche begriffen, dass das nicht nur in Afrika oder Asien ein riesiges Problem ist, sondern auch in Europa – eben zum Beispiel in Rumänien oder, auf leicht andere Weise, in Ostdeutschland. Der deutsche Osten hat mich als literarische Region schon lange interessiert, und Rumänien fand ich spannend, weil es für mich tatsächlich terra incognita war.
Werden in Deutschland auf Genres spezialisierte Schreibkurse, zum Beispiel auf Krimiliteratur, durchgeführt? Gibt es Work-shops, Seminare oder andere Orte, an denen sich Schriftsteller*innen der Sparte treffen?
Oliver Bottini: Ja, das gibt es mittlerweile fast in jeder Stadt, sowohl spezialisiert auf Genres als auch literarische Workshops. Ich habe selbst einige solcher Veranstaltungen besucht, aber auch als Dozent gehalten. Der Trend hat bei uns Ende der 90er Jahre eingesetzt. Als ich 2000 meinen ersten Workshop im Münchner Literaturhaus besucht habe, war das etwas ziemlich Neues und noch nicht so richtig anerkannt. Mittlerweile weiß man, dass es eine grandiose Möglichkeit ist, über die intensive praktische Auseinandersetzung mit Texten (eigenen und fremden) das Handwerk zu lernen, den eigenen Standpunkt zu bestimmen und sich seinen Weg als Autor zu erarbeiten.
In der letzten Zeit werden im rumänischen Kulturraum verschiedene Kurse für kreatives Schreiben angeboten. Gibt es auch Workshops, wo man lernen kann, Krimis oder SF/Fantasy Literatur zu schreiben? Oder sonst noch andere Orte, an denen sich Schriftsteller dieses Genre treffen?
Michael Hăulică: Von Krimis-Workshops habe ich noch nichts gehört, weder ob es sie gibt oder ob sie schon stattgefunden haben, aber für SF & Fantasy habe ich selbst auf Wunsch von Simina Diaconu drei solcher Kurse organisiert. Nun, ich habe sie nicht allein organisiert, sondern ich habe mich mit Oliviu Crâznic, Florin Pîtea, Ana-Maria Negrilă, Dănuț Ungureanu und Marian Coman zusammengetan. Es gab auch noch die von Simina Diaconu organisierten Sonntagsveranstaltungen zum kreativen Schreiben, zu denen SF / Fantasy-Autoren eingeladen wurden (ich, Oliviu Crâznic, Dănuț Ungureanu, Marian Truță).
Diese Workshops fanden nicht nur statt, sondern der erste führte sogar zu einer Anthologie, die ich für Millennium Books erstellt habe. Sie wurde 2015 veröffentlicht, unter dem Titel Section 14 nach dem Namen des Literaturkreises, den ich mit den Absolventen derjeniger Edition gegründet habe.
An anderen Orten… In SF & F gab es immer Literaturkreise und kurze Prosa, Fanzines, nationale Konventionen (die erste war im Jahr 1972). Jemand sagte, dass es in den 80er Jahren in Rumänien über 60 SF-Literaturkreise gab. Jetzt gibt es bestimmt nicht mehr so viele, aber in letzter Zeit habe ich eine Tendenz bemerkt, den sogenannten Fandom neu zu organisieren. Die neuen Magazine der neuen Generation stabilisieren sich – davon ist Galaxie 42 die bemerkenswerteste – Generation, die, wie gesagt, mit dem Willen einherging, über die Grenzen des Landes hinauszugehen.
Fans von Krimis (einschließlich Schriftsteller) werden nicht zu einem Fandom zusammengebracht, obwohl es weitaus mehr als SF & F-Enthusiasten gibt. Es scheint, dass die rumänischen Krimiautoren nicht sehr an Vereine, oder an gemeinsamen Aktivitäten interessiert sind. Deshalb haben wir in diesem Bereich keine jährlichen Auszeichnungen. Aber wer weiß? Ich bleibe weiterhin optimistisch.
Wenn Sie einen legendären Charakter oder vielleicht einen rumänischen Schriftsteller treffen könnten, wen würden Sie sich aussuchen?
Oliver Bottini: Ich würde zum ersten gern Ana Blandiana treffen, weil sie nicht nur Schriftstellerin ist, sondern auch politisch sehr aktiv, was in Rumänien, glaube ich, häufig anzutreffen ist. In Deutschland sieht man das eher selten, vielleicht weil die Rolle des/der Intellektuellen traditionell eine andere ist – er/sie hat im Elfenbeinturm Großes zu produzieren, sich aber nicht an vorderster Front oder gar auf der Straße zu engagieren. Zum anderen würde ich gern Laura Codruţa Kövesi begegnen, die für mich beinahe schon einen legendären Charakter hat. Während der Recherche zu Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens habe ich mich einiges über sie und ihre Arbeit für die rumänische Antikorruptionsbehörde gelesen, die sie ja dann verlassen musste. Aus meiner Sicht, der eines Fremden, hat sie bei der DNA Großes für das Land geleistet. Ihr Mut und ihr Engagement sind für mich beispielhaft. Dass sie es am Ende geschafft hat, gegen die Widerstände weiter Teile des rumänischen Establishments die erste Europäische Generalstaatsanwältin zu werden, empfand ich als großen Erfolg für die moderne europäischen Demokratie.
Wenn Sie die Chance hätten, eine einprägsame Figur oder einen Schriftsteller aus Deutschland kennenzulernen, wen würden Sie wählen?
Michael Hăulică: Bei dieser Frage werde ich sehr subjektiv und sentimental antworten. Ich würde gerne Michael K. Iwoleit treffen, Herausgeber, Schriftsteller und Übersetzer, fünfmaliger Gewinner des Kurdischen Laßwitz-Preises, der wichtigste deutsche Preis für Science-Fiction. Er erhielt den Preis für alle seine drei Tätigkeiten, als Schriftsteller, Übersetzter und Editor. Wir haben uns virtuell getroffen, ich koordinierte ein Online-SF-Magazin (Virtual Worlds), er koordinierte auch ein Magazin (Nova). Es gab einige Jahre, in denen wir korrespondiert haben, als ich ihn veröffentlichte und er mich veröffentlichte. Ein Band von ihm wurde sogar bei uns veröffentlicht, Moloh, in einer der besten Sammlungen, die es auf dem rumänischen Buchmarkt gegeben hat: Novella von Millennium Books, koordiniert von Horia Nicola Ursu. Die Übersetzung gehört Flavius Ardelean und es ist schön zu sehen, wie all diese Dinge, über die wir zusammen gesprochen haben, miteinander verbunden sind.. Ja, Michael K. Iwoleit. Ich würde ihn wirklich gerne einmal treffen.